Vasen und Köpfe

zur Arbeit von Johannes Esper

Kunstwerke sind, wie alle Gegenstände, dem Verfallsprozess unterworfen. Daran werden auch die Restauratoren auf Dauer nur wenig ändern können. Von dem Augenblick an, ab dem ein Künstler sein Werk als vollendet betrachtet, beginnt dieser Prozess. Das Geformte wird langsam wieder zum Ungeformten, bis es wieder reines Material wird, ohne Kunstwerk zu sein.

Auch wenn den zum Teil stark zerstörten und verfallenen Kunstwerken verschiedener Epochen und Künstler der Fetisch des Geschaffenen und des durch das Alter allein schon Wertvollen anhaftet, handelt es sich doch um Gegenstände, die auf dem Weg vom Kunstwerk zum einfachen Material schon einiges an Weg zurückgelegt haben. Wie viel Kunstwerk ist in diesen Gegenständen noch zu finden? Ab welchem Grad von Beschädigung und Verfall wird es sinnlos, von einem Kunstwerk überhaupt noch zu reden?

Johannes Esper nähert sich diesem Punkt und dieser Frage, indem er dem Material, das er für seine Arbeiten verwendet, gerade einmal so viel Form gibt, dass man eben noch von einem Kunstwerk reden kann, oder vielleicht schon nicht mehr? Espers künstlerische Fragestellung und Schaffensprozess sind an dieser Grenze angesiedelt.

An Anfang und am Ende des Schaffensprozesses eines Bildhauers früherer Jahrhunderte, der Bildwerke aus Stein oder Holz herausarbeitet, steht das Bild, das sich auf beinahe magische Weise schon im Material zu befinden scheint und nur darauf wartet, herausgearbeitet zu werden. Dieses Bild ist zugleich Zielvorstellung und Ergebnis der künstlerischen Bemühungen. Bei maximaler Übereinstimmung zwischen der bildhaften Vorstellung (in Abhängigkeit vom handwerklichen Talent) und dem nach dieser Vorstellung geschaffenen Werk fällt die Entscheidung: Das Werk ist vollendet! Ab diesem Augenblick beginnt dann, wie oben bereits erwähnt, der Verfallsprozess des Werkes, weg vom Bild, weg von der Vorstellung des Produzenten und wieder hin zum Rohmaterial und zum Ungeformten. Das Material befreit sich durch die Zeit allmählich von der Begrenzung, Kunstwerk zu sein.

Esper geht einen anderen Weg. Vom Ausgangsmaterial (hier zumeist Ton und Beton) ausgehend entwirft er Settings, Experimentierfelder, die keine konkrete Zielvorstellung zur Basis haben. Esper lässt dem Material maximale Autonomie und tritt aber dennoch, anders als beispielsweise bei den Produkten der konzeptueller Kunst, in einen dialektischen und ergebnisoffnen Dialog mit dem Material. Das bedeutet, dass er als Künstler nach dem Entwurf des Experimentierfeldes oder der Konzeption sich nicht vollkommen aus dem Schaffensprozess zurückzieht, um nur noch als Ausführender der konzeptuellen Anweisungen zu agieren, bei denen es schlussendlich egal ist, ob nun der Künstler selbst, ein Assistent oder ein vollkommen Unbeteiligter sie ausführt. Dialog bedeutet in diesem Falle gerade das personalisierte Eingreifen des Künstlers in den Schaffensprozess, auch wenn es ein eher fragendes oder antwortendes denn ein nach einer Vorstellung formendes Eingreifen ist. Der Künstler verändert das Material, und dieses wiederum verändert die Vorstellung, die sich der Künstler von dem macht, was Werk sein könnte. Mit der Setzung solcher Themen wie etwa Kopf oder Schale, bekommt die künstlerische Produktion bei Esper weniger eine Zielvorstellung, weniger einen Rahmen, als eher einen diskursiven Startpunkt, von dem aus sich ein künstlerisches Möglichkeitsfeld im Dialog mit und durch das Material öffnet. Was Werk wird und was nicht, ist also nicht von vornherein geklärt, ist sicherlich auch nicht an eine zuvor gefasste Vorstellung von etwas, das herausgearbeitet werden soll, ist also in diesem Sinne an keine Idee gebunden. Insofern unterscheidet sich Espers Arbeit auch wesentlich von idealistischen Auffassungen der künstlerischen Produktion.

Diesen beiden unterschiedlichen Arten von Skulptur ist also etwas gemeinsam, mit anderen Worten, sie besetzen eine zeitliche und konzeptuelle Schnittmenge:

Die einen sind schon beinahe nicht mehr Kunstwerk, schon nicht mehr Geformtes, die andern sind gerade schon Kunstwerk, gerade schon Geformtes. Bei den einen entledigt sich das Material allmählich der Begrenzungen des Geformt-Seins, bei den anderen ist diese Begrenzung so gering, dass sich die Autonomie des Materials im Einklang mit der Form behauptet.

Ist also hier ein Kopf ein Kopf, eine Schale eine Schale, wie es die Titel der Arbeiten zum Teil versprechen? Johannes Esper würde antworten, etwas ist ein Kopf (eine Schale), ist also fertig, wenn ich sehe, dass es ein Kopf oder eine Schale ist. Dabei vertraut Esper letzten Endes darauf, dass es zwischen Menschen mehr Verbindendes als Trennendes gibt und sich eine intersubjektive Übereinkunft einstellen mag: Ja, das ist ein Kopf, auch wenn es kein Kopf ist, den ich sehe. Bei Espers Köpfen und Schalen handelt es sich nicht um Abbilder, sondern um autonome, nicht abbildhafte Gegenstände, die unter der gedanklichen Prämisse Kopf oder Schale aus einem dialektischen Prozess zwischen Künstler und Material hervorgehen. Ein Werk ist bei Esper dann vollendet, wenn dieser dialektische Prozess zu einem künstlerischen Ergebnis geführt und nicht, wenn eine zuvor gefasste Vorstellung sich in einer künstlerischen Ausdrucksform materialisiert hat. Wohin also die Prämisse Kopf im Schaffensprozess einen Klumpen Ton führen mag, ist offen, und ein Kopf ist erst dann vorhanden und das Werk fertig, wenn der Dialog mit dem Material ein künstlerisch sinnvolles Ergebnis hervorgebracht hat, auch wenn es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht das Abbild eines Kopfes ist und eigentlich auch nichts mehr mit einem Kopf zu tun hat.