Wirklichkeit und Simulation

zur Arbeit von Dirk Haupt

Man denke sich eine Böschung. Es ist Sommer. Die Hitze steht über den Feldern. Kanadische Goldrute, Brombeere, Gräser, Disteln, …, wachsen der eigenen, undurchschaubaren und komplexen Energie des Überlebens, den eigenen Gesetzen folgend zu einer unübersehbar komplexen, man ist geneigt zu sagen chaotischen Struktur heran. Dann kommen die Maschinen und dezimieren das Chaos auf ein menschliches Maß. Flurbereinigung…

Dirk Haupt geht den anderen Weg. Es ist das Gegenteil von Flurbereinigung. Dirk Haupt beschwört immer wieder etwas, das dem Menschen im Grunde schlecht zu Gesicht steht: Das Scheitern. Was bedeutet Scheitern? In diesem Falle ist es Methode und Versuch, die Realität einer Gegebenheit zu erfassen, die als Erscheinung in der Wirklichkeit nicht fassbar ist, nicht abbildbar, nicht kopierbar ist, ohne dass man große Verluste an Authentizität wird verbuchen müssen. Die Realität einer überwucherten Böschung. Die Realität all der verschiedenartigen Organismen, die geheimen Gesetze, die zu einem bestimmten Moment in der Zeit zu dieser und keiner anderen einmaligen Form führen ist das unsichtbare Bild hinter dem Bild, das Dirk Haupt malt.

Das Bild ist nicht die Realität des Gegenstandes. Das Bild ist die Wirklichkeit seiner selbst. Malerei. Dirk Haupt stellt Gesetze auf, die man Naturgesetze nennen könnte, die man mathematische Gesetze nennen könnte, die man Experimente nennen könnte oder Spielregeln. Es ist von allem etwas. Die Gesetze haben mit der Natur nur so viel zu tun, wie es dem Menschen dienlich ist, die Natur, die diese Gesetze zu umschreiben versuchen, nach seinem Sinne zu ordnen. So wird die Welt untertänig. Zumindest will es zumeist so scheinen.

Bei einem komplexen Gefüge, bei einem so banalen, ungesehenen Gefüge, wie einer Böschung im Sommer, geraten die Gesetze leicht aus den Fugen, wenn man zu genau hinschaut. Dirk Haupt schaut genau hin und verlässt so für eine kurze abenteuerliche Exkursion den kulturellen Kreis in die Wildnis des Undefinierten. Er bringt von dort Spielregeln und Gesetze mit, die die Basis einer Simulation von Wirklichkeit bedeuten.

Was ist der Unterschied von Simulation und Abbild? Das Abbild geht von der Erscheinung einer Gegebenheit aus und versucht diese Gegebenheit so perfekt wie möglich zu imitieren. Die Simulation hingegen versucht die dem Gegebenen inhärenten Gesetze zu erfassen, um so etwas der Wirklichkeit Vergleichbares zu erschaffen. Es ist eine Kreation im ersten Sinne des Wortes, eine Schöpfung im menschlichen Maßstab.

Gesetze, die zur Simulation einer sommerlichen, überwucherten Böschung führen, müssen zwangsläufig an ihrem Sujet scheitern, da sie der gegebenen synchronen Komplexität nicht gewachsen sein können. Eine unvollkommene Simulation als Produkt des Scheiterns an der Wirklichkeit des Gegebenen. So weit so gut. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite haben wir es hier aber auch mit Malerei zu tun, mit Komposition. Das Thema ist die Böschung im sommerlichen Mittagslicht, in der Hitze, mit einem Menschen vor der Böschung, der aus dem, was er sieht, nie schlau werden kann. Die aus der Undurchschaubarkeit abgeleiteten Gesetze allerdings sind genau die Widerstände, die aus der Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Simulation das gebären, das man musikalische Verhältnismäßigkeit nennen kann – musikalische Verhältnismäßigkeit zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenem.

Die mathematischen, experimentellen, spielerischen, den Gesetzen des Wachsens abgeschauten Regeln bilden das virtuelle Gitternetz, um das herum Dirk Haupt seine malerischen Kompositionen entstehen lässt. Regel wie Regelbruch erzeugen die Dokumentation einer malerischen Annäherung an eine Wirklichkeit, die den Wahrnehmenden am Wahrgenommenen scheitern lassen muss. Und gerade in diesem Scheitern erscheint die Ahnung der Realität einer uns trotz Naturwissenschaft und fortschreitender Erkenntnis immer fremd bleibenden Natur auf.

Auch wir sind Teil dieser Natur und werden uns immer zu großen Teilen fremd bleiben, auch wenn wir viele Gesetze und Regelwerke finden, die uns uns selbst bis auf einige Schritte Entfernung näher bringen. Erreichen allerdings werden wir uns nie, ebenso wenig wie Dirk Haupt die Realität der überwucherten Böschung erreichen wird. Aber es gelingt ihm in seiner Malerei, genau diese Distanz zu inszenieren. Seine Malerei inszeniert den Abgrund zwischen dem Abbild des Gegebenen und der Realität der Erscheinung. In dieser Weise ist er im Grunde dem Realismus verpflichtet, ohne an die Fähigkeiten des Realismus, die Wirklichkeit zu erfassen, glauben zu können.

Wer die Bilder Dirk Haupts aufmerksam betrachtet, wird die zeitliche Schichtung dieser Annäherung verfolgen können. Die Gesetze. Die Regeln brechen immer wieder in den Gestus aus. Dieser wiederum erfährt strenge Mäßigung durch serielle, fast konzeptuelle Ansätze, das Chaotische fassbar zu machen.

Wann ist ein Bild gelungen, das der Strategie des Scheitern folgt? Es ist dann gelungen, wenn hinter der Dokumentation des Scheiterns an der Erscheinung des Gegebenen das unsichtbare Bild hinter dem Bild aufscheint: Die Böschung überwuchert von kanadischer Goldrute. Brombeeren, Gräser, Disteln, … .